Die Salatlüge

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Die Salatlüge
Er fördert das Wohlbefinden, macht stark und gesund? Alles Gemüse! Der grüne Blätterkopf enthält etwa so viele Nährstoffe wie ein unbeschriebenes Stück Papier.
Von Sebastian Herrmann

Bis zum Horizont reihen sich an Spaniens Küsten Plastikplanen und reflektieren das Sonnenlicht wie trübe Teiche. Hunderte Quadratkilometer Land sind in den Provinzen Almería und Murcia mit Gewächshäusernbedeckt. In ihnen wächst Treibhausware für Europas Supermärkte: Tomaten, Gurken, Paprika. Und: Abermillionen Taschentücher.

Die wachsen zum Teil unter den Planen, zum Teil auch auf Tausenden Hektar freier Fläche – als belebende grüne Sprengsel zwischen den eintönig grauen Plastikflächen. Die Rede ist von Salat. Blattsalat. Und er belebt höchstens optisch.

Der Heilbronner Lebensmittelchemiker Udo Pollmer jedenfalls bescheinigt dem Gemüse die ,,Ernährungsphysiologie eines Papiertaschentuchs mit einem Glas stillen Wasser“. Wenn das so ist, werden im trockenen Spanien täglich Millionen Liter Wasser vergeudet, um ein Lebensmittel anzubauen, das vor allem eines enthält: so gut wie nichts.

Eisbergsalat, Kopfsalat, Romana-Salatherzen oder Rucola – die Deutschen laden sich dennoch bergeweise grüne Blätter auf ihre Teller. 384.000 Tonnen Blattsalat verbrauchten die Bundesbürger 2005. Im Schnitt hat jeder Deutsche im vergangenen Jahr 4,7 Kilogramm des Grünzeugs gegessen. ,,Davon stammt gut die Hälfte aus dem Ausland“, sagt Hans-Christoph Behr, Gartenbauexperte von der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle ZMP in Bonn.

270.000 Tonnen Blattsalate wurden 2005 nach Deutschland eingeführt, vor allem aus spanischen und belgischen Gewächshäusern. „Für Kopf- und Eisbergsalat ist Spanien der wichtigste Erzeuger“, sagt Behr. Besondere Lust auf grüne Blätter verspüren die Deutschen im Frühjahr: im März, April, Mai. Dann stammt die meiste Ware von der Plastikküste bei Almería und Murcia. Erst von Mitte Mai an liefern auch heimische Felder „Blattwerk“, wie Pollmer das Grünzeug verächtlich nennt.

Wie konnten Blattsalate in den vergangenen 20 Jahren von einer oft verschmähten Beilage zum begehrten Bestandteil fast jeder Menüfolge werden? ,,Salat gilt als Inbegriff einer gesunden Mahlzeit“, sagt Pollmer. Als nahrhaft und vitaminreich.

Doch offenbar sind das Attribute, denen der Salat, objektiv betrachtet, nicht gerecht wird: Mit dem provokanten Papiertaschentuch-Vergleich steht Pollmer innerhalb der Wissenschaft nicht alleine da – die Kollegen des wissenschaftlichen Leiters des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften formulieren es nur etwas vorsichtiger.

Grün wirkt gesund

„Salat wird eher überbewertet im Vergleich zu anderem Gemüse“, sagt etwa Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der Universität München. Es sei wohl vor allem „das helle, saftige Grün der Blätter, das die Leute anspricht und Gesundheit suggeriert“. Doch allein der Blick auf die Inhaltsstoffe der meisten Blattsalate spricht gegen die verbreitete Annahme, man könne seinem Körper kaum Gesünderes bieten als einen Sommersalat.

Zum Beispiel Eisbergsalat, die Lieblingssorte der Deutschen: Etwa drei Kilogramm verbraucht jeder Haushalt jährlich von diesem in jeder Hinsicht charakterlosen Gewächs. Hundert Gramm Eisbergsalat bestehen aus 95 Gramm Wasser. Handelt es sich um Importware aus Murcia oder Almería, steckt in den Blättern Wasser, das aus durchschnittlich 50 Meter tiefen Brunnen aus dem staubigen Ödland Südspaniens gepumpt wurde.

Folge: Die unterirdischen Reservoire versalzen dort seit Jahren. Während die Eisbergköpfe an der Oberfläche bewässert werden und ihre Geschmacklosigkeit ausprägen, dringt unterirdisch Meerwasser nach.

Neben Wasser enthalten 100 Gramm Eisbergsalat etwa 1,6 Gramm Kohlenhydrate, etwa 1 Gramm Eiweiß und 0,2 Gramm Fett. So liefern diese 100 Gramm Gemüse dem Körper nach Informationen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) 13,1 Kilokalorien – herzlich wenig. Außerdem: „Salat ist im Vergleich zu anderen Gemüsesorten nicht sehr vitamin- und mineralstoffreich“, sagt Antje Gahl von der DGE.

Der Vitamingehalt variiert von Sorte zu Sorte: In Feldsalat, Löwenzahn und Chicorée stecken etwas mehr Betacarotin und Vitamin C als in anderen Sorten; Endiviensalat spendet seinem Esser etwas mehr Eisen als andere Salate. Die meisten Sorten enthalten außerdem etwas Folsäure. „Trotzdem liest man immer wieder, dass in Salat so viele Vitamine stecken“, sagt Thomas Hofmann, Direktor des Instituts für Lebensmittelchemie der Universität Münster.

„Wenn man aber mit wissenschaftlichen Methoden auf die Suche danach geht, sind sie nicht so leicht zu finden.“ Ernährungsmediziner Hauner rät deshalb: „Wer wirklich gesundes Gemüse und reichlich Vitamin C zu sich nehmen möchte, der soll Weißkohl essen.“

Die wenigen Vitamine, die in Salatköpfen stecken, sind auch noch flüchtiger Natur: ,,Man sollte Salate an dem Tag verbrauchen, an dem man sie gekauft hat“, sagt Gahl, denn Licht, Hitze oder zu lange Zeit an der Luft – etwa durch lange Transportwege – verringern die dürftige Vitaminmenge.

Außerdem rät die DGE, Salat vor dem Waschen nicht zu zerkleinern, denn auch das setze den sensiblen Inhaltsstoffen des Gemüses zu. Kaum Vitamine, kaum Mineralstoffe – was steckt dann Gutes im Salat? Die Antwort fällt immer gleich aus und wird meist im zweiten Atemzug wieder relativiert: „Blattsalate enthalten Ballaststoffe“, sagt Hans-Georg Joost, Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. „Ja, in Salat sind wertvolle Ballaststoffe“, bestätigt Antje Gahl von der DGE.

Pommes gesünder als Salat?

Beide haben recht, doch besonders reichlich sind die grünen Blätter auch damit nicht ausgestattet. Dass Salat eine großzügige Quelle dieser unverdaulichen und angeblich gesundheitsfördernden Stoffe sei, ist offenbar ebenso eine Mär wie die Legende von den vielen Vitaminen. Beide Behauptungen wollen eher durch stete Wiederholung Wahrheit werden als durch Fakten. Tatsache ist: 100 Gramm Eisbergsalat enthalten im Schnitt 1,8 Gramm Ballaststoffe. Die gleiche Menge Pommes frites weist 2,5 Gramm auf.

Auch andere Blattsalatsorten fallen dadurch auf, dass sie wenig Ballaststoffe enthalten: im Schnitt ein bis zwei Gramm pro 100 Gramm. „Das ist nicht besonders viel“, stellt Ernährungsmediziner Hauner fest.


Sein Fachkollege Pollmer formuliert es, in der Art seines Taschentuch-Vergleichs, provokanter: „Eine Currywurst enthält wahrscheinlich mehr Ballaststoffe als ein Kopfsalat.“ Die Pommes dazu auf jeden Fall. Und auch Antje Gahl rudert im Nachsatz zurück: Die Ballaststoffe, die ein Salat liefert, reichten nicht, um den Tagesbedarf eines Erwachsenen zu decken, den die DGE mit 30 Gramm beziffert.

So bleibt nur ein Mysterium der Ernährungswissenschaften, das dem Salat einen positiven gesundheitlichen Effekt zuschreibt: sekundäre Pflanzenstoffe, so genannte Antioxidantien zum Beispiel, die möglicherweise eine krebspräventive Wirkung haben. Doch: „Da sind für die Wissenschaft noch sehr, sehr viele Fragen offen“, sagt Gahl. Was auch generell für den Verzehr von Salat gilt. „Es gibt keine Studie, in der ein positiver Effekt belegt worden ist“, sagt Pollmer.

Das liegt am Aufwand, der für eine solche Untersuchung betrieben werden müsste: „Es ist so gut wie unmöglich, die gesundheitlichen Wirkungen einzelner Inhaltsstoffe des Salats zu überprüfen“, bestätigt auch Hauner. Wie sollten sich zum Beispiel störende Effekte durch andere Details der Lebensweise eines Probanden ausschließen lassen? Und wie ließe sich überprüfen, ob sich dieser über viele Jahre – ein derartiger Zeitraum wäre nötig – an den salatlastigen Speiseplan hält?

„Deshalb hat sich die Ernährungswissenschaft immer wieder auf retrospektive Studien gestützt“, sagt Pollmer. Das bedeutet, Wissenschaftler haben sich Probanden angesehen, die besonders gesund waren oder an einer Krankheit litten, um dann nach möglichen Ursachen, etwa in der Ernährung, zu fahnden.

,,Keines der Ergebnisse dieser Studien war lange haltbar“, sagt Pollmer. So erschütterten die europäische Epic-Studie und die amerikanische PLCO-Studie (zwei der großen, qualitativ besseren Untersuchungen) eine ganze Reihe von Annahmen, die bislang als wissenschaftlich fundiert galten.

Ballaststoffe zum Beispiel schützen wohl längst nicht so gut vor Darmkrebs, wie lange angenommen wurde. Und auch die generell krebsvorbeugende Wirkung einer Ernährung mit viel Obst und Gemüse, also auch Salat, wurde lange Zeit überschätzt. Dennoch predigt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung DGE, man solle besonderen Wert auf den Verzehr von Obst, Gemüse und Salat legen.

Fünf Mal täglich Obst und Gemüse

Es gibt Kampagnen wie den Five-a-day-Aufruf, wonach jeder Mensch seiner Gesundheit zuliebe täglich fünfmal Obst oder Gemüse verzehren sollte.

Nur: Jeder Mensch ist anders und isst, verdaut und verträgt anders. Manche können etwa die Fruktose in Äpfeln nicht so gut resorbieren.

Die Betroffenen wissen oft gar nichts von ihrer Unverträglichkeit, sie mögen Äpfel einfach nur nicht so gern. „Es hat überhaupt keinen Sinn, so jemandem einzureden, er müsse für seine Gesundheit Äpfel essen“, sagt Pollmer. Sein Credo: Das Essen sollte abwechslungsreich sein, weil man es mag, aber nicht, weil man es soll oder sich Gesundheit verspricht. Das gilt auch für Salat.

Immerhin ist die Beweislage für die Wirkungen unerwünschter Salat-Inhaltsstoffe ebenso dünn wie für die erwünschten: So reichert Blattsalat, besonders wenn er im Treibhaus gezogen wird, Nitrat an, das sich im Menschen zu Nitrit verwandelt und zu potenziell schädlichen Nitrosoverbindungen weiterentwickeln kann. Jedoch konnten epidemiologische Studien bisher nicht belegen, dass nitrathaltige Lebensmittel das Krebsrisiko erhöhen. Auch im negativen Sinne ist Salat also offenbar charakterlos.

Ernährungsmediziner Hauner empfiehlt, dennoch Salat auf den Speiseplan zu setzen: vor den eigentlichen Mahlzeiten. Die Mitglieder der Grünzeug-Familie hätten eine vorsättigende Wirkung, indem sie den Magen dehnten. So nehme man insgesamt weniger Kalorien zu sich – vorausgesetzt, man gehe auch mit dem Dressing sparsam um. Marktexperte Behr formuliert es präziser: „Der Wert des Salats besteht für die meisten ja gerade darin, dass er keine Nährstoffe enthält.“

(SZ WISSEN 13/2007)
 

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