Infoman
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Udo Pollmer (50) ist Lebensmittelchemiker und Bestsellerautor ("Lexikon der populären Ernährungsirrtümer"). Seit 1995 ist er Wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften. Mit ihm sprach Stefanie Rüggeberg.
Berliner Illustrirte Zeitung: Der normale Mensch hat ein paar Kilo zuviel auf den Rippen und träumt vom Idealgewicht. Was ist denn ideal?
Pollmer: Jeder Mensch hat seine eigene, biologische Normalität. Den Körper gibt es nicht nur in einem Standardmodell. Der eine ist groß und dürr. Der andere eben klein und rund. Wer die Menschheit mit dem Hackebeil der Idealnorm auf die Wunschfigur des Zeitgeistes trimmen will, macht sie nur unglücklich und krank. Also vergessen Sie diesen Quatsch am besten gleich wieder.
Das klingt so, als ob Sie von Diäten nicht viel halten.
Bingo. Das Problem ist, daß die Menschen heute an Diäten glauben wie einst an die Jungfrauengeburt. "Gesundes Essen" ist eine Ersatzreligion, die Schönheit, Schlankheit und Jugend verleiht. Dabei wird übersehen, daß der Zusammenhang zwischen Essen und Gewicht viel geringer ist, als die Ernährungspäpste im eigenen Interesse glauben machen wollen.
Das hieße ja, daß jeder den ganzen Tag unbekümmert futtern kann und auf der Waage gibt's keine Probleme.
Wer sich keinen Kopf ums Kalorienzählen macht, hat es leichter, schlank zu bleiben. Wer dagegen ständig übers Essen nachdenkt, hat automatisch einen erhöhten Speichelfluß. Und ißt folglich mehr. Zugleich steht er unter Streß, weil er Angst vor seinem Appetit hat. Und diese Kombination macht viele Menschen dicker. Wie Studien zeigen, werden Menschen, die sich "bewußt" ernähren wollen, um schlank zu bleiben, im Durchschnitt schneller dick.
Heißt das, daß auch Diäten zwangsläufig dick machen?
Ja. Von 100 Menschen, die eine Diät beginnen, haben vielleicht fünf langfristig Erfolg.
Wie kommt das?
Der Körper reagiert empfindlich auf jede Form einer Kalorienrestriktion. Für ihn sind regelmäßige Diäten nichts anderes als Hungersnöte oder Mißernten. Er weiß ja nicht, daß sein Mensch nur eine Illustrierte gelesen hat. Für jede dieser bedrohlichen Katastrophen legt er sich ein paar Reservepölsterchen zu - der Jojo-Effekt.
Nun wollen Menschen aber auch abnehmen, um ihrer Gesundheit einen Gefallen zu tun. Spricht das nicht für eine Diät?
Da werden mal wieder die Nebenwirkungen des vermeintlich "gesunden Abnehmens" vergessen. Wer fett ist, hat in der Tat ein erhöhtes Herzinfarktrisiko. Doch das steigt bei vielen Diäten auch noch an. Dazu kommen Osteoporose und bei fettarmer Diät Gallensteine. Ganz zu schweigen von den Eßstörungen, die meist durch eine Kombination von Diät in Verbindung mit Ausdauersport erworben werden.
Gibt es für Sie denn gar keine Eßsünden?
Essen und Trinken sind lebensnotwendig. Und weil es ein Trieb ist, wird seine Erfüllung mit einem guten Gefühl belohnt. Früher lauerte die Sünde im Schlafzimmer, nun lauert die Eßsünde hinter der Kühlschranktür. Die Menschen sind fixiert auf die Idee, daß nur gesunde Ernährung ihnen das Heil bringen kann. Wer hinter allem, was körperliche Befriedigung verschafft, Fallstricke des Teufels vermutet, soll sein Heil lieber in der Kirche, aber nicht in der Küche suchen.
Und was ist mit Ernährungsratschlägen?
Die haben sich in den vergangenen 50 Jahren ständig verändert, oft sogar ins Gegenteil verdreht. Früher war Fleisch ein Stück Lebenskraft, heute liegt im Vegetarismus das Heil. Jedes Land hat andere Empfehlungen. In Skandinavien ist Alkohol des Teufels, in Frankreich ein Born der Gesundheit. Wären unsere Empfehlungen richtig, dürften die Briten das 45. Lebensjahr nicht mehr erreichen, sie werden aber genauso alt wie wir.
Eine "gesunde Ernährung" für alle ist etwa so geistreich wie eine "gesunde Schuhgröße" für alle. Jeder ist anders, jeder verträgt etwas anderes, und deshalb ißt jeder anders.
Raten sie auch von Körnerbrot und drei Litern Wasser pro Tag ab?
Es gibt keinen genormtem Wasserbedarf. Wer sich zwingt, möglichst viel zu trinken, kann daran sogar sterben, durch Gehirn- und Lungenödeme. Außerdem: In manchen Lebensmitteln - wie Gurken - ist mehr Wasser enthalten als in den empfohlenen Säften.
Meine Hoffnung, daß man irgend etwas ganz entspannt essen kann, schwindet allmählich.
Im Gegenteil - essen Sie, was Ihnen bekommt. Und widmen Sie sich befriedigenderen Tätigkeiten als dem Grübeln über Kalorien, Vitamine oder die mehrfach ungesättigten Spekulationen der Experten. Es gibt nur eine wirklich wichtige Regel: Essen Sie nichts, was Ihnen nicht bekommt - und sei es noch so gesund.
Quelle: http://morgenpost.berlin1.de
Berliner Illustrirte Zeitung: Der normale Mensch hat ein paar Kilo zuviel auf den Rippen und träumt vom Idealgewicht. Was ist denn ideal?
Pollmer: Jeder Mensch hat seine eigene, biologische Normalität. Den Körper gibt es nicht nur in einem Standardmodell. Der eine ist groß und dürr. Der andere eben klein und rund. Wer die Menschheit mit dem Hackebeil der Idealnorm auf die Wunschfigur des Zeitgeistes trimmen will, macht sie nur unglücklich und krank. Also vergessen Sie diesen Quatsch am besten gleich wieder.
Das klingt so, als ob Sie von Diäten nicht viel halten.
Bingo. Das Problem ist, daß die Menschen heute an Diäten glauben wie einst an die Jungfrauengeburt. "Gesundes Essen" ist eine Ersatzreligion, die Schönheit, Schlankheit und Jugend verleiht. Dabei wird übersehen, daß der Zusammenhang zwischen Essen und Gewicht viel geringer ist, als die Ernährungspäpste im eigenen Interesse glauben machen wollen.
Das hieße ja, daß jeder den ganzen Tag unbekümmert futtern kann und auf der Waage gibt's keine Probleme.
Wer sich keinen Kopf ums Kalorienzählen macht, hat es leichter, schlank zu bleiben. Wer dagegen ständig übers Essen nachdenkt, hat automatisch einen erhöhten Speichelfluß. Und ißt folglich mehr. Zugleich steht er unter Streß, weil er Angst vor seinem Appetit hat. Und diese Kombination macht viele Menschen dicker. Wie Studien zeigen, werden Menschen, die sich "bewußt" ernähren wollen, um schlank zu bleiben, im Durchschnitt schneller dick.
Heißt das, daß auch Diäten zwangsläufig dick machen?
Ja. Von 100 Menschen, die eine Diät beginnen, haben vielleicht fünf langfristig Erfolg.
Wie kommt das?
Der Körper reagiert empfindlich auf jede Form einer Kalorienrestriktion. Für ihn sind regelmäßige Diäten nichts anderes als Hungersnöte oder Mißernten. Er weiß ja nicht, daß sein Mensch nur eine Illustrierte gelesen hat. Für jede dieser bedrohlichen Katastrophen legt er sich ein paar Reservepölsterchen zu - der Jojo-Effekt.
Nun wollen Menschen aber auch abnehmen, um ihrer Gesundheit einen Gefallen zu tun. Spricht das nicht für eine Diät?
Da werden mal wieder die Nebenwirkungen des vermeintlich "gesunden Abnehmens" vergessen. Wer fett ist, hat in der Tat ein erhöhtes Herzinfarktrisiko. Doch das steigt bei vielen Diäten auch noch an. Dazu kommen Osteoporose und bei fettarmer Diät Gallensteine. Ganz zu schweigen von den Eßstörungen, die meist durch eine Kombination von Diät in Verbindung mit Ausdauersport erworben werden.
Gibt es für Sie denn gar keine Eßsünden?
Essen und Trinken sind lebensnotwendig. Und weil es ein Trieb ist, wird seine Erfüllung mit einem guten Gefühl belohnt. Früher lauerte die Sünde im Schlafzimmer, nun lauert die Eßsünde hinter der Kühlschranktür. Die Menschen sind fixiert auf die Idee, daß nur gesunde Ernährung ihnen das Heil bringen kann. Wer hinter allem, was körperliche Befriedigung verschafft, Fallstricke des Teufels vermutet, soll sein Heil lieber in der Kirche, aber nicht in der Küche suchen.
Und was ist mit Ernährungsratschlägen?
Die haben sich in den vergangenen 50 Jahren ständig verändert, oft sogar ins Gegenteil verdreht. Früher war Fleisch ein Stück Lebenskraft, heute liegt im Vegetarismus das Heil. Jedes Land hat andere Empfehlungen. In Skandinavien ist Alkohol des Teufels, in Frankreich ein Born der Gesundheit. Wären unsere Empfehlungen richtig, dürften die Briten das 45. Lebensjahr nicht mehr erreichen, sie werden aber genauso alt wie wir.
Eine "gesunde Ernährung" für alle ist etwa so geistreich wie eine "gesunde Schuhgröße" für alle. Jeder ist anders, jeder verträgt etwas anderes, und deshalb ißt jeder anders.
Raten sie auch von Körnerbrot und drei Litern Wasser pro Tag ab?
Es gibt keinen genormtem Wasserbedarf. Wer sich zwingt, möglichst viel zu trinken, kann daran sogar sterben, durch Gehirn- und Lungenödeme. Außerdem: In manchen Lebensmitteln - wie Gurken - ist mehr Wasser enthalten als in den empfohlenen Säften.
Meine Hoffnung, daß man irgend etwas ganz entspannt essen kann, schwindet allmählich.
Im Gegenteil - essen Sie, was Ihnen bekommt. Und widmen Sie sich befriedigenderen Tätigkeiten als dem Grübeln über Kalorien, Vitamine oder die mehrfach ungesättigten Spekulationen der Experten. Es gibt nur eine wirklich wichtige Regel: Essen Sie nichts, was Ihnen nicht bekommt - und sei es noch so gesund.
Quelle: http://morgenpost.berlin1.de