Manner im Schlankheitswahn
Die Männer machen sich dünn: Eingefallene Wangen, ausgemergelte Hintern und zarte Streichholzärmchen sind plötzlich der heiße Look. Was ist da schief gelaufen, fragt sich Meike Winnemuth.
gibt keinen unattraktiveren Anblick als einen Mann vor einem Salatteller. Männer, die wie Frauen essen und dazu noch matte Ausreden wie „Ich muss später noch zu einem Geschäftsessen“ benutzen, erfüllen unsereins mit stummem Ekel, wie ihn sonst nur Berliner Bands und Roland Koch provozieren. Nützt alles nichts: Seit Atkins ist Abnehmen Extremsport – inklusive dem Recht, mit den Erfolgen zu protzen – und hat mit Steaks zu tun, ist also nicht länger peinlicher Mädchenkram.
Seitdem sind alle Dämme gebrochen: Jungsblätter wie „Men’s Health“ titeln mit „Wampe weg – die 14 besten Abspeck-Tipps“, auf den Laufstegen sieht man kalorienfreie Röhrenhosen und fettreduzierte Jacketts, tiefer gelegte Jeans, die sich an spitze Hüftknochen klammern, und messerscharfe Anzüge von Hedi Slimane und Thom Browne, in denen man wie ein sehr schicker Bestattungsunternehmer aus den frühen 60ern aussieht. Friedlich dahingeschieden sind hingegen die Bundfalte, der Doppelreiher, die Cargopants und überhaupt alles, worin Kerle früher ihre Kilos verstauen konnten.
Die Revolution kam schleichend. Eben noch dominierten die hiphoppenden Sixpacks in knieumspielenden Baggy-Beuteln, jetzt sieht man allüberall nur noch Spackenbands: verhungerte Jungs mit konkaven Brustkörben wie Franz Ferdinand, die Strokes, die Libertines, Phoenix und die Mooney Suzuki, im Look schwer an den jungen Bowie und die späten Ramones angelehnt, aber mit diesem Blick, der dir sagt: Koch mir eine Suppe und kauf hinterher meine Platte. Amerikanische Lifestyle-Päpste haben den „manorexic“ zum Nachfolger des Metrosexuellen gekürt, in Internetforen wie „Closecutcult“ posieren dünne Jungs stolz in ihren Prada-Anzügen und posten Einträge wie „Was einst als androgyn galt, wird die neue Männlichkeit sein“. Gott steh uns bei.
Wie begann das alles eigentlich? Mit den 42 Kilo minus von Karl Lagerfeld, der sich letztens auf H&M-Plakaten hinter seinem Model verstecken konnte? „Seitdem ich es mir erlauben kann, die kleinste Größe von Dior zu tragen“, lässt er subtil in Interviews fallen, „hassen mich alle Männer. Wenn sie neben mir stehen, wollen sie mich am liebsten umbringen, weil sie sich schlaff und ungepflegt fühlen.“ Karl! Bei aller Liebe! Dann fügt das Biest noch an, dass er eigentlich ein „sehr netter, bodenständiger Mensch“ sei, „aber ich sehe halt nicht so aus. Gott sei Dank.“ Mit einem hat er jedenfalls Recht: Wenn man in die Mode von Dior Homme, Raf Simons, Helmut Lang, Burberry Prorsum oder Miu Miu passen will, muss man einen BMI unter 20 haben, und das gilt vor allem für Models. „Solche Jungs fotografieren sich einfach besser“, sagt Jan-Eric Luetjen von der Modelagentur Place. „Die haben so was Mittelalterliches, Biblisches, wenn die Wangenknochen herauskommen.“
Auch Billy Bob Thornton bekannte sich unlängst zu seiner Anorexie. „Erst wollte ich nur abnehmen, dann wurde es zu einem kleinen mentalen Problem“, das sich nahtlos in die lange Liste seiner anderen mentalen Probleme einreihte wie die panische Angst vor Antiquitäten und die Vorliebe für orangefarbene Lebensmittel. Der hohl- wangige Ethan Hawke wiederum nannte seine Trennung von Uma Thurman mit ersterbender Stimme „die beste Diät, die ich je gemacht habe“.
Überhaupt, Schauspieler. Während Frauen Schlagzeilen damit machen, dass sie für eine Rolle zulegen (Renée Zellweger für „Bridget Jones“, Charlize Theron für „Monster“), schinden Männer Feuilletonzeilen als Hungerkünstler. Christian Bale hat für seine Rolle in „Der Maschinist“ 30 Kilo abgenommen („Ohne diesen physischen Aspekt wäre mein Spiel nicht glaubwürdig gewesen“), Tom Hanks für „Verschollen“ gut 20 Kilo („Nur indem ich von Milchkaffee auf Tee umgestiegen bin“), Tobey Maguire 14 Kilo für „Spider-Man“, Ulrich Matthes acht Kilo für „Der neunte Tag“. Und jedes Mal wird fast reflexhaft mit dem Oscar gewedelt
Worin sich dünne Männer allerdings von dünnen Frauen unterscheiden: Ihr Gewicht treiben sie meist mit exzessivem Sport in den Keller. Typisch sind Anorexia athletica und Sportbulimie: Fressattacken, gefolgt von Workout-Sessions über mehrere Stunden. Das Phänomen macht sich besonders im Spitzensport breit, wo ein Kilo weniger oder mehr über Sieg oder Niederlage entscheiden kann: bei Langstreckenläufern, Skispringern, Ringern, Turnern und Jockeys. Erbrechen („flipping“ in der Jockey-Sprache), Abführ- und Entwässerungsmittel und vierstündige Saunagänge sind üblich bei Reitern; wie die Skispringer Sven Hannawald (1,84 Meter, 62 Kilo), Janne Ahonen (1,84 Meter, 67 Kilo) und Sigurd Pettersen (1,80 Meter, 56 Kilo) auf ihr Gewicht kommen, kann man nur vermuten. Ein Weltklassespringer hat einen Körperfettgehalt von vier bis fünf Prozent, abnehmen kann er nur noch durch Entwässern oder Abbau von Muskulatur.
Viele gehen für den Sport über Leichen – und sei es die eigene: 1997 starben drei amerikanische Ringer beim Versuch, sich in eine niedrigere Gewichtsklasse zu hungern: Sie hatten im Gummianzug bei großer Hitze trainiert. 2001 starb der deutsche Ruderer Bahne Rabe zwei Tage vor seinem 38. Geburtstag an Magersucht. Als er bei den Olympischen Spielen 1998 Gold im Achter holte, wog er noch fast 100 Kilo, bei seinem Tod 63 Kilo bei 2,03 Meter.
Fanatische Abnehmer, so sagen Psychologen, sind obsessive Perfektionisten, voll Angst vor Kontrollverlust. Kein Wunder also, dass man sie so oft im Hort der hochbezahlten Versagensängste findet: der Vorstandsetage. Kaum ein Topmanager, der nicht in Interviews die Wonnen der Askese, des Fastens und des Marathons predigt. Dass die Testosteronlevels bei solchen Exerzitien verlässlich gegen null sinken, scheint niemanden zu kümmern.
Immerhin hat einer von ganz oben gerade bewiesen, dass es Heilung gibt vom männlichen Schlankheitswahn: kaum zu fassen, dass einem Joschka Fischer noch mal sympathisch werden könnte.
Quelle: AMICA