"Gammelfleisch": Behörden greifen durch - Betriebschef kurz in Haft
Berlin (dpa) - Nach der Aufdeckung des "Gammelfleischskandals" greifen die Behörden schärfer durch. Die Bundesregierung will das Thema jetzt EU-weit angehen. In Troisdorf bei Köln wurde der Chef eines Handelsbetriebes vorübergehend in Haft genommen, weil in dem Unternehmen falsch deklariertes, verdorbenes und verschimmeltes Fleisch lagerte.
In Berlin kündigte der neue Verbraucher- und Agrarminister Horst Seehofer (CSU) an, er wolle mit den Bundesländern eine Verschärfung rechtlicher Vorgaben ausloten. "Ich werde mich ganz, ganz nachdrücklich um dieses Thema kümmern", sagte Seehofer am Freitag bei der Amtsübernahme im Ministerium.
Rund 50 Betriebe und Lager sind nach Angaben des Agrarministeriums bundesweit vom Skandal um verdorbenes Fleisch betroffen. Einige seien selbst betrogen worden, sagte Staatssekretär Gert Lindemann am Freitag in Berlin. Nach bisherigen Erkenntnissen gebe es keine Netzwerke in den Ländern. Es handle sich vielmehr um eine Häufung von Einzelfällen, sagte Lindemann. Eine Gesundheitsgefährdung durch das verdorbene Fleisch könne aber weitestgehend ausgeschlossen werden.
In Krisengesprächen mit den Ländern soll am kommenden Dienstag in Bonn ausgelotet werden, ob rechtliche Lücken zu schließen sind. Zudem wolle Deutschland einen Vorstoß für eine EU-weite Meldepflicht über verdorbenes Fleisch unternehmen, sagte der Staatssekretär.
Dem Troisdorfer Fleischhändler (64), der nach einem Tag im Gefängnis Haftverschonung erhielt, werden Verstöße gegen das Lebensmittelgesetz und die Kennzeichnungspflicht vorgeworfen. Er hatte zugegeben, 200 Kilogramm Wurstwaren, deren Verfallsdatum abgelaufen war, neu ausgezeichnet zu haben. Die Behörden beschlagnahmten rund eine Tonne Fleisch. Der Betrieb, der 2003 schon einmal wegen ähnlicher Verstöße geschlossen war, wurde erneut zugesperrt.
Der Fleischerverband sieht die wiederholten Funde von verdorbenem Fleisch als Problem der billigen Massenproduktion. Der stellvertretende Geschäftsführer, Klaus Hühne, sagte der dpa, der Verband erwartet jetzt ähnlich wie bei der BSE-Krise mehr Nachfrage bei den Fachgeschäften. Denn die handwerklichen Metzgereien wüssten genau, wo das von ihnen verarbeitete Vieh und Fleisch herkomme.
Seehofer warnte vor Einsparungen bei der Lebensmittelkontrolle. "Die Lebensmittelsicherheit für die Bevölkerung muss gewähleistet sein." Die rechtlichen Möglichkeiten müssten konsequent angewandt werden. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) kündigte ein entschlossenes Vorgehen gegen den Handel mit verdorbenem Fleisch an. Kriminelle Händler sollten mit härteren Strafen bedroht werden.
Während der stellvertretende SPD-Chef Kurt Beck forderte, das Strafrecht müsse "in drastischer Form" verschärft werden, hält Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) die strafrechtlichen Möglichkeiten für ausreichend. Sie forderte im Nachrichtensender n-tv aber schärfere Kontrollen. Wenn gegen die Etikettierung im Lebensmittelrecht verstoßen werde, drohten bis zu drei Jahre Haft. Um Betrug handle es sich, wenn verdorbenes Fleisch als unbedenklich ausgewiesen werde. Wenn es zu Gesundheitsschäden komme, griffen Delikte der Körperverletzung, sagte sie.
Die Behörden suchen inzwischen in mehreren Bundesländern nach verdorbenem Fleisch. Im Zusammenhang mit dem Gelsenkirchener Skandal wurden bundesweit mehr als 160 Tonnen sichergestellt. In Düsseldorf, Neuss und Hattingen wurden darüber hinaus mehrere Tonnen Fleisch beschlagnahmt. Rund 2,5 Tonnen teils verdorbener Fleisch- und Wurstwaren wurden bei einem Händler im Bodenseekreis gefunden, der Gastronomiebetriebe in Baden-Württemberg und Bayern beliefert.
Das niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz in Oldenburg teilte am Freitag mit, neue Untersuchungsresultate zu Proben, die zum Gelsenkirchener Fall gehören, hätten den Verdacht gegen mehrere Betriebe verstärkt. In Brandenburg stellte sich eine Probe als verdorben heraus. In Hamburg werden offizielle Prüfergebnisse an diesem Montag erwartet.
Der Lebensmittelskandal war in seiner vollen Dimension ans Licht gekommen, als Ende vergangener Woche in einem Großbetrieb in Gelsenkirchen 60 Tonnen möglicherweise verdorbenes Fleisch sichergestellt wurden. Der 39 Jahre alte Gelsenkirchener Großhändler steht im Verdacht, in großem Stil zu lange gelagertes Fleisch als Frischfleisch umetikettiert und weiterverkauft zu haben. Er wies am Freitag die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Er habe nicht gewusst, dass das von ihn gehandelte Fleisch ungenießbar war.