Zucker-Ersatz Stevia - die Süße aus dem Urwald
Die Powerpflanze aus Südamerika hat es in sich: Sie ist 300 Mal süßer als Zucker, aber trotzdem kalorienarm und wird in ihrer Heimat gegen Hautkrankheiten, Bakterien und Karies eingesetzt. Taugt sie auch bei uns als Zucker-Ersatzstoff? Lange hat sich die EU gegen die Zulassung gesträubt - jetzt beginnt sie, sich für das Süßkraut zu erwärmen.
Stand: 16.10.2009
Ursprünglich wächst das unscheinbare Kraut im subtropischen Klima Paraguays, Brasiliens und Nordostargentiniens. Es gibt über Hundert verschiedene Stevia-Arten, von denen nicht alle süß sind. Die heute kommerziell genutzte, etwa 70 Zentimeter hohe, grünblättrige Pflanze mit der enormen Süßkraft wurde in Paraguay entdeckt. Die Einheimischen nutzen Steviablätter, um ihren Mate-Tee oder ihren beliebten heißen oder kalten Kräuteraufguss zu süßen.
Eine Art Wundermittel?
Pharmakologische Eigenschaften der Stevia hätten schon die Indianer festgestellt, sagt der argentinische Chemiker Roberto Campos, der als Stevia-Experte für ein deutsches Unternehmen arbeitet: Die Pflanze wirke antibakteriell, sie sei gut für die Verdauung und senke Blutdruck und Blutzuckerspiegel - sei also ideal für Diabetiker. Obwohl Stevia wie eine Art Wundermittel zu wirken scheint, das Naschen ohne böse Folgen erlaubt und außerdem verschiedene Beschwerden lindert, plädiert Campos dafür, Stevia erst einmal nur als Süßstoff zu vermarkten. Für die Verwendung als Arzneimittel seien noch viele Studien nötig, meint der Experte.
Die EU setzt auf Cyclamat
In vielen Ländern wird schon mit Stevia gesüßt, in Deutschland kann man die Stevia rebaudiana zwar in Blätterform, als Konzentrat oder als Steviosid kaufen, sie ist allerdings als Zucker-Ersatzstoff nicht zugelassen. Die EU setzt noch auf künstliche Süßstoffe wie Cyclamat, obwohl auch diese umstritten sind: einerseits, weil sie die Lust auf Zucker erhöhen sollen, und andererseits, weil sie im Verdacht stehen, Krebs zu erregen. Stevia dagegen ist höchstens gefährlich für die Hersteller von synthetischen Süßstoffen, vermutet Ralf Pude, der an der Universität Bonn an der Pflanze forscht.
Nicht gefährlicher als Zucker
Bevor ein neues Nahrungs- oder Heilmittel zugelassen wird, sind zum Schutz der Verbraucher in der EU laut "Novell-Food-Verordnung" aufwändige Prüfverfahren nötig. Lange lehnte man bei der EU Stevia mit der Begründung ab, die Unbedenklichkeit sei noch nicht zweifelsfrei erwiesen. Dabei wurde oft eine Studie mit Versuchen an Ratten zitiert, in der Steviosid offenbar die Fruchtbarkeit der Tiere beeinträchtigte. "Allerdings erst in absurd hohen Dosen", wie Pude einwandte: Erst wenn ein Erwachsener täglich mehr als die Hälfte seines Körpergewichts an frischen Stevia-Blättern zu sich nähme, käme er auf eine ähnliche Konzentration. "In dieser Menge wäre selbst Zucker gefährlich."
Alternative für deutsche Bauern
Die Wissenschaftler in Deutschland bereiten sich auf die Einführung der Steviapflanze vor. An der Universität Hohenheim bei Stuttgart hat man eine Methode entwickelt, wie das Steviosid möglichst schonend aus den Blättern entfernen werden kann. Die Forscher der Universität Bonn experimentieren mit Vermehrungs- und Anbauverfahren. Obwohl die wärmeliebende Pflanze aus Südamerika stammt, fühlt sie sich auch auf deutschen Äckern wohl - allerdings nur im Sommer. Wenn der Frost kommt, stirbt sie ab und muss im folgenden Frühjahr neu gepflanzt werden. Doch der Anbau könnte sich für die deutschen Bauern lohnen - Ralf Pude ist davon überzeugt.