Schwanensee oder "Vertraue mir....."
B., Sonne meines Herzens, und Freundin meiner Seele, eröffnete mir,
daß ganz in unserer Nähe Kultur zur Aufführung kommen sollte.
Schwanensee, getanzt vom St. Petersburger Staatsballett. Schon seit
einiger Zeit beklagten wir heftig das kulturelle Abseits zu dem wir,
aufgrund unseres provinziellen Daseins, verurteilt sind und hatten uns
vorgenommen, dem ein Ende zu setzen.
Dem sollte Schwanensee, zumindest temporär, abhelfen.
Vorausschauend, wie es ihrer Art entspricht, teilte mir die Gute dies
eine ganze Woche vor der Aufführung mit. Tatsächlich gelang es mir
Karten zu besorgen, wobei ich unter der verschwenderischen Fülle von
immerhin noch 7 freien Plätzen, absolut freie Wahl hatte.
Wir wollten die Fahrt nach Böblingen mit einem Besuch bei der
Niederlassung eines bekannten schwedischen Möbelhauses verbinden. Nicht
das wir selber irgend etwas gebraucht hätten. Nein, Freundschaftsdienste
zogen uns uns zu den Hallen selbigen Möbelhauses. (Ich erwähne den Namen
nicht, da diese Firma nicht bereit war, ihre Erwähnung angemessen zu
vergüten)
Am fraglichen Abend erschien meine teure B. wohlgemut bei mir. Sie
war wahrhaft angemessen angetan. Ja, sie bot eine so aparte Erscheinung,
daß ich ihre massive Verspätung nicht zu rügen wagte. Nach dem Austausch
einiger Freundlichkeiten, wie sie nur eine gute Freundschaft wie die
unsere, auf Dauer aushält, machten wir uns auf den Weg...
Die Fahrt verlief ruhig...bis es um die Wahl der korrekten Abfahrt ging.
Ich war Wegemässig verunsichert. Aber B., die ja dereinst in dieser Gegend
gewohnt hatte, meinte: "Vertraue mir...." und leitete mich zu einer
Abfahrt, von der ich meinte, es sei die falsche. So war es denn auch,
was aber meine Herzensbeste nicht weiter belastete, und lediglich dazu
verleitete, noch einmal: "Vertraue mir..." in mein Ohr zu flöten.
Schon bald befanden wir uns in einem Stau, und es gab keine Spur des zu
besuchenden Möbelhauses...das schwedische. Ich sah mit bangen Blicken
zur Uhr und wagte zaghaft den Vorschlag, doch gleich zum Kongresszentrum
zu fahren, um dort in Ruhe einen Parkplatz zu suchen. Auch hatte sich
bei mir inzwischen Hunger eingestellt, und ich äusserte den Wunsch
diesen zu stillen. Vor meinem geistigen Auge erschien ein Bild einer
unendlich gelassen Ankunft am Aufführungsort. Dann hätten wir ohne Eile
eine Kleinigkeit zu uns zu nehmen können, um uns dann voller Freude dem
Ballett zuzuwenden. Diese Utopie wurde jäh durch die Realität zerstört.
Wobei die Realität in diesem Fall das Angesicht meiner neben mir
sitzenden Freundin angenommen hatte, respektive ihrer anders gearteten
Pläne. Wir beratschlagten, und meine Busenfreundin meinte: "Vertraue
mir..." Sie wüsste, wo es lang ging, und alles sei ganz und
gar kein Problem. Endlich waren wir in den Hallen des besagten
Möbelhauses. In ungeahnter Geschwindigkeit durchmassen wir es mit Riesenschritten.
Zumindest ich, da meine Beine länger sind als die meiner eher kleinwüchsigen Freundin.
Ihre Laufgeräusche erinnerten mich an an das Stakkato einer
Flamencotänzerin. Nun ja, Bewegung schadet ja nie. Im Vorbeigehen
grapschten wir uns die zu erwerbenden Stücke und hasteten zu den Kassen.
Alle Kassen waren überlaufen. Nun muss ich es meiner Allerbesten zugute
halten, daß sie, ohne zu zögern einen jungen Mann becircte, der uns auch
wohlmeinend den Vortritt ließ. Und das ohne mir vorher zugeraunt zu
haben. "Vertraue mir..."
Aber meine Freude ob der zügigen Erledigung der Einkäufe hielt nicht
lange an. Im Parkhaus erklärte mir die Wegkundigste aller Freundinnen,
sie wisse nicht wie wir das Kongresszentrum erreichen würden. Ich sah
voll Verzweiflung auf die Uhr. Nur etwas mehr als eine halbe Stunde
blieb uns um diese Kulturstätte zu finden, einen Parkplatz aufzuspüren,
die Karten an der Abendkasse abzuholen und unsere Plätze einzunehmen.
Und da war es wieder jenes strahlende Lächeln, mit dem sie mir
verkündete: "Vertraue mir..." Bevor ich antworten konnte, wurde sie
einiger unschuldigen Mitmenschen gewahr. Sie sprang behende aus dem Auto
und stürzte sich auf sie. Diese entschuldigten sich wortreich für ihre
Unvermögen ihr weiterzuhelfen zu können. Was ein klares Zeugnis über
ihre Verhörtechniken darstellt.
Wir verliessen das Parkhaus, und wir fanden ohne großes Zutun der so
ungemein ortskundigen B., schnell den rechten Weg. Noch 20 min.
blieben uns. Als sich zarter Optimismus in mir breitmachen wollte,
fand ich mich in einem gewaltigen Rückstau wieder. Langsam, sehr langsam
ging es vorwärts. Was man von der Zeit die verstrich nicht behaupten
konnte. Mühsam unterdrückte ich meine Panik. Das von meiner Allerbesten
fröhlich verkündete: "Vertraue mir..." trug inzwischen in keinster Weise
zu meinem Seelenfrieden bei. Wobei an diesem Abend, Frieden in jedweder
Form, keinen Platz neben einer gewissen kleinen blonden Person fand.
Inzwischen war die Ampelanlage in Sicht, und wir wurden gewahr, daß in
jeder Grünphase ca. 2-4 Autos über die Kreuzung krochen. Der Rückstau
des Parkhauses verhinderte ein zügigeres Fortkommen. Inzwischen war
unser Zeitpolster auf 7min. geschrumpft. Ich jagte mein Goldstück aus
dem Wagen und befahl ihr die Karten an der Abendkasse abzuholen. Nun war
ich endlich im Parkhaus und fand nach einigen Wirrnissen tatsächlich
auch einen Parkplatz. Ich hechtete aus dem Auto und stürzte mich mich,
die Treppen hoch. Es spricht für die, in meinem Körper, inzwischen
angesammelte Menge von Adrenalin, daß ich nicht ausser Atem geriet.
Jeder Olympionike hätte mich um meine Zeit wie Kondition beneidet mit
der ich diese drei Stockwerke überwand.
Ich stürzte mich in das Foyer und sah auch schon meine entspannt
lächelnde B. . Sie strahlte mich an und meinte mit mildem Triumph:
"Sagte ich nicht, daß es reicht?" Es war genau eine Minute vor Beginn!
Ich wankte wortlos hinter ihr her. Und nun bewährte es sich auch, das
wir nur noch recht weit hinten liegende Plätze ergattert hatten.
Zumindest wurden nicht alle der Besucher unseres Eintreffens gewahr.
Dann begann die Aufführung. Die letzten Sekunden vor dem öffnen des
Vorhangs nutze meine liebwerte Freundin um die Garderobe der einzelnen
Damen zu begutachten. Weniges fand ihre Billigung. Und eine goldfarbene
Stola wurde mit dem Kommentar "Davon bekommt man ja einen Augenschaden"
versehen. Ich muss zugeben, mich auch zu ein oder zwei Äusserungen
hinreißen ließ. Dies beweist eindrücklich den schlechten Einfluß von
Frau B. Z. aus O. auf meine Person.
Doch dann begann die Vorführung. Und ich gab mich der klassischen
Inszenierung hin...entschwebte geistig, getragen durch die Klänge der
Musik Tschaikowskys. Hätte ich gewusst, was dieser Abend mit noch bringen würde,
ich wäre so entspannt gewesen, wie ein Mensch dem man ein 45iger an die Stirn hält.
Der erste Akt war zu Ende. Und gestählt durch die Ereignisse unserer
Ankunft waren wir flink und somit bei den ersten die ins Foyer stürmten.
Meine stille Hoffnung, daß, entgegen allen Gepflogenheiten, daß auch
etwas nahrhafteres als Getränke angeboten werden würden, erwies sich als
Trugschluß. Inzwischen hatte uns beide ein kräftiger Hunger erfasst. Und
sogar, die auf den Tischen im Foyer ausgelegten Salzletten erschienen im
goldenen Licht eines knurrenden Magens, sehr verlockend. Es bedurfte
fast übermenschlicher Kraft nicht wie eine Hunnentruppe über sie
herzufallen. Und das ich mich mit 8 (!) Salzstangen zufrieden gab,
beweist, wie der Lack der Zivilisation uns doch zusammenhält und
bewahrt. Auch meine Teure verspürte inzwischen einen kräftigen Hunger.
Ob das der Grund war, daß sie sich über die Formen des männlichen
Hauptakteurs so ausgiebig ausließ? Er sei blutjung, denn seine Formen
seinen keinesfalls schon ausgeprägt. Von diesem Thema war ein kein
weiter Weg zu allgemeinen Gedanken über das Los von Ballettänzern und
-tänzerinnen. Wir kamen auch darauf zu sprechen, welchen Belastungen die
Gelenke und Füße, insbesondere beim Spitzentanz, ausgesetzt sind. Und es
wurde erwähnt, daß manche Tänzer sich rohes Fleisch als Unterlage für
die gepeinigten Zehen, in die Schuhe legten.
Die Pause ging zu Ende und wir nahmen wieder unsere Plätze ein. Wieder
gab ich mich dem Zauber der Aufführung hin. Der Schwan war alleine auf
der Bühne und ich ergötzte mich an ihrem Tanz, als eine wohlbekannte
Stimme an mein Ohr drang und respektlos anmerkte: "Wenn man dran denkt,
daß sie gerade auf einem Filet tanzt..." Es dauerte eine geraume Zeit
bis ich meine Fassung wiedererlangt hatte. Und als ich wieder imstande
war meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf die Bühne zu richten, tanzte
"Prinz Siegfried" ein Solo. Und wieder drang jene Stimme an mein Ohr,
und an die Ohren aller die im Umkreis von 3 m saßen: "Der Tänzer ist
wirklich blutjung. Der hat noch gar keinen richtigen Hintern" (Sie
benützte ein anders Wort, daß ich aber nicht wiedergeben möchte) Und
dann folgte ein ausführlicher Bericht darüber, wie sich der Hintern
eines Mannes im Laufe der Jahre verändert.
Der Abend neigte sich dem Ende zu und wir begaben uns ins Parkhaus. Oder
genau genommen, meine grausame Freundin zerrte mich ungeachtet meiner
schmerzenden, da mit einer Blase gepeinigten Füsse, in
Eilgeschwindigkeit ins Parkhaus. Da ich das Parkticket im Auto vergessen
hatte, bat ich sie, meiner schmerzenden Blase zuliebe, sie möge doch bitte
das Ticket entwerten. Mit der Überheblichkeit einer Frau die immerhin eine
ganze Zeit in der großen Stadt gelebt hatte, erklärte sie mir, das dies
bei einer solchen Veranstaltung nicht nötig sei. Meine zaghaft
angeführten Zweifel wischte sie mit den Worten: "Vertraue mir..."
rigoros hinweg.
Wir fuhren zum Ausgang, was wegen des Rückstaus recht lange dauerte.
An der Schranke angekommen steckte ich mein Ticket in den Schlitz....
und erhielt prompt die Aufforderung den Betrag von 2 DM zu bezahlen.
Eingedenk der ca. 200 Autos hinter uns war ich einem Herzinfarkt nahe.
B. schnappte sich das Ticket und rannte zum Automaten.
Derweil sank ich so tief es meine hochgewachsene wie auch üppige Gestalt
es erlaubte, in den Sitz. Schameswellen überrollten mich rythmisch.
Und da war sie auch schon wieder. Ich schob
mit zitternden Fingern, das Ticket in den Schlitz, die Schranke öffnete
sich und mit quietschenden Reifen entfloh ich dem Ort peinlichster
Schmach. Das B. das entwerten des Tickets übernommen hatte, erfüllte
mich zunächst mit einer großen Dankbarkeit. Aber dieses Gefühl hielt
nicht lange an. Denn B. erklärte mir, durch Gesten den nachfolgenden
Fahrern zu verstehen gegeben haben, daß ich die Schuldige sei. Es war
mir nicht möglich meine Gefühle in Worte zu fassen. Und nur die Tatsache
das der Strassenverkehr meine volle Aufmerksamkeit forderte, bewahrte
die Ruchlose vor körperlichem Schaden.
Da ich an dem Geschehenen nichts mehr ändern könnte, fand ich mich damit
ab, und hoffte nur nie wieder einem der Menschen, die dies miterlebt
hatten zu begegnen und ev. erkannt zu werden. Überdies bewies ich
Großmut indem ich meine Freundin nicht verstieß sondern ihr die in
meiner Tasche befindliche Tüte Gummibärchen anbot. Über diese stürzte
sich sich zunächst mit stummer Gefräßigkeit. Dann äusserte sie völlig
zusammenhangslos: "Also...das Pärchen links neben uns, die waren doch
sehr seltsam...nicht wahr?"
Ich muss gestehen, dieser in aller Unschuld ausgesprochene Satz ließ
meine emotionalen Dämme brechen. Ich konnte nur noch kreischend
antworten:" Seltsam???? Seltsam????Von den hunderten von Paaren die sich
in diesem Saal befanden gab es nur ein wahrhaft seltsames Paar. Und das
waren wir..wir..WIR!!!" Und dann warf ich ihr in der selben kreischenden
Tonlage all ihre Vergehen an diesem Abend vor. Leider zeigte sie sich
völlig unbeeindruckt und mampfte weiterhin Gummibären. Dann kreischte
sie ein wenig gegen mich an, wenn auch mit wenig Erfolg. So wurde sie
wieder still, und gab dem Bärenvolk den Rest. So gestärkt strahlte sie
mich wieder einmal an und meinte:"Das schöne daran ist, wie wir mit so
etwas umgehen, wie wir damit fertig werden"
Ich war sicherlich einige volle Sekundenbruchteile sprachlos. Und
verlieh der Frage, wie lange eine Freundschaft so etwas aushält,
Worte:"Und wie lange soll das dauern?"
"Bis Schönbuch" war die eher lapidare Antwort. Wobei sich Schönbuch auf
die nächstgelegen Raststätte bezog ....
Sodann verfielen wir beide in so heftiges Lachen, daß ich froh um den
Schutzmantel der Dunkelheit war, denn sonst hätten sicher wohlmeinende
Mitmenschen unsere sofortige Einweisung in die nächstliegende
Nervenheilanstalt veranlasst.
Gibt es eine Moral in dieser, leider nur allzuwahren, Geschichte?
Eigentlich keine. Demnächst gehen wir zusammen in eine Oper.