Ja, dann wollen wir gleich mal loslegen.
Vielleicht kann ich mein altes Tagebuch ja wieder sichtbar machen (zusammenlegen wird wohl nicht gehen, oder
). Kann ich denn darauf zugreifen? Dann würd ich zumindest die Geschichten rüber kopieren.
Naja, wie dem auch sei. Erzähl ich mal von einer Begegnung mit meinem unfassbar egoistischen und schnippischen Unterbewusstsein.
Wenn man selber Kinder hat, macht man sich ja so Gedanken, wie man aus ihnen gute Menschen macht. Nein, nicht sofort, wie werden sie Pfarrer oder edelmüttige Ritter der Neuzeit. Aber so, dass sie eine soziale Kompetenz besitzen und auf menschlicher Ebene das sind, was man sich selbst vom Gegenüber wünscht. Vorher habe ich ehrlich gesagt nicht darüber nachgedacht, dass meine Eltern genau das von mir wollten.
So zieht man durch die Welt und lernt die unterschiedlichsten Charaktäre kennen. Irgendwie scheinen Erziehungen bei den meisten nicht funktioniert zu haben. Sie starren einen auf den Teller, so dass man fragen möchte, ob sie mitessen wollen, sie strafen einen mit verachtenen Blicken, nur weil man nicht wie das Abziehbild von Heidi Klum aussieht, sie tätscheln einen und trauen einen nichts zu, schließlich kann man den Bikini Größe 38 höchstens als Halsschmuck oder Pseudoarmband benutzen und ganz schlimm, sie schätzen einen ab, sie gucken in die Runde des Raumes, wo sie sich befinden, entdecken einen und jubeln förmlich, dass sie ja doch schlanker sind.
Innerlich gedemütigt hebt man arrogant das Kinn, man will ja den Feind seine Verletzung nicht zeigen, damit er einen nicht richtig niedermetzelt. Es fallen im Laufe des Abends selbstbewusste Sprüche wie "lieber dick und chick, als dünn und doof" oder "Dick ist gemütlich, dünn ist krank" usw. Natürlich belächelt der Gegenüber dieses Verhalten und man selbst tätschelt ihn, weil er MUSS einen IQ haben, wie die Höhe der Raumtemperatur, schließlich guckt er nicht hinter die Fassade.
Zuhause dann, drückt man sein Kissen in sein Gesicht. Zum Glück liegt es den ganzen Tag im Bett rum und bekommt einen meist nur im Dunkeln zu sehen. Dem Kissen ist es völlig egal, wieviel man gegessen hat, solange man es bei sich behält und nicht teilen will. Tief im inneren weiß man aber, dass man vielleicht auch doch dünn und chick sein kann und die Intelligenz nicht mit den Kilos wächst. Genauso weiß man, dass man nicht gesund ist und sicher nicht zwangsläufig krank wird, wenn man dünner wird.
Man nimmt sich also vor, das Gewicht zu reduzieren. Im Schnellverlauf sieht das ungefähr so aus, dass man normaler Weise, zig Diäten ausprobiert mit dem tollen Erfolg, dass man immer chicker und immer gemütlicher wird und dem Kissen ein Podest baut, weil es sich immer noch nicht beschwert.
Bis man dann einen Weg gefunden hat. Und plötzlich schwinden die Pfunde. Nach einiger Zeit entdecken das auch andere und ganz wichtig, man sieht es irgendwann selbst.
So erging es mir. Gerade heute. Aufgrund einer Meniskusoperation musste mein Mann heute zum Medizinischen Dienst, um abzuklären, wie lange die Arbeitsunfähigkeit noch bestehen wird, sind Reha-Maßnahmen nötig usw (nein, topfit der Kerl, Montag kann er nach fast 7 Wochen endlich wieder arbeiten, ich glaub ich trag ihn hin, hauptsache ich hab wieder einen geregelten Hausfrauentag :rotfl
. Dort stieg ich nichtsahnend in einen Klaustrophobie hervorrufenden Fahrstuhl. Direkt gegenüber der Tür ein Spiegel. Unbeachtet stieg ich also in die mentale Folterkammer und drückte auf den Knopf. Und dann war es da. Dieses hundsgemeine Unterbewusstsein.
Wir erinnern uns an die Geschichte mit dem sozialen und menschlichen Verhalten, was man bei anderen vermisst und sich selbst doch sehr zuspricht. Ich blickte also in diesen Spiegel und was passierte? Das selbe wie immer? Nein! Ich bin nicht innerlich zusammengebrochen, ich wollte mich nicht verstecken und davor wegrennen. Ich habe mich nicht vor den Spiegel gestellt und gedacht, guck ich doch mal, wie ich aussehe. Sondern ich habe beiläufig in den Spiegel geschaut und ich war hocherfreut. Dort stand ein ganz anderer Mensch, als denjenigen, den ich sonst gesehen habe, wenn ich an Schaufenster vorbeigelaufen bin, die mich wiederspiegelten oder halt richtigen Ich-zeig-dir-wer-du-wirklich-bist-Gläsern. Wow. Schon begann die Modelkarriere.
Es wurde sich gedreht und gewendet. Im Nachhinein ähnlich wie die Bratwurst auf dem Grill. Man dreht, wendet, begutachtet und lässt es noch ein wenig zur Perfektion auf sich wirken. Ja, toll sah ich aus. Ein Mensch, keine Assoziation mit einem Tier, einem Fass oder ähnlichen Gegenständen.
Pling, angekommen. Raus aus dem Fahrstuhl. Wenn ich normal gehe, sieht man dann wie gut ich aussehe? Wie bring ich wildfremden Menschen ohne Worte zum Ausdruck, dass ich 25 kg abgenommen habe? Scheißegal, sie werden es erahnen. Schließlich wussten sie vorher auch genau, wie mein Tagesablauf aussieht und was ich so alles in mich rein gestopft habe, um meine Figur zu halten bzw. auszubauen.
Jetzt bin ich auf dem Weg in den Warteraum. Vor mir mein Mann. Kurz kommt mir der Gedanke, dass ich doch eigentlich böse war. Es haben sicher die wenigsten wirklich meinen Teller kontrolliert, sie haben mich nicht zwischen 40 anderen Tänzern auf der Tanzfläche kontinuierlich beobachtet. Hab ich mich zu wichtig genommen? Haben die sich überhaupt für mich interessiert? Schwachsinn, alles Einbildung eines dicken Menschen.
Warteraum. Wir sind angekommen. Geschätzte 20 Platze, davon ungefähr 15 besetzt, gefühlte Anspannung. Und hier kommt dieses egoistische Mistvieh raus, mit einem Verhalten, was ich früher immer anderen unterstellt habe und überhaupt nicht leiden konnte. Vor 25 kg hätte die weitere Situation so ausgesehen:
Blick zum Zeitschriftenblock, ein in den Bart gemurmeltes "Gjutn Tag", Platz auswählen, wo sitzen so wenig Leute wie möglich in meiner Nähe. Zeitung auf, kurzer Blick in die Runde, Blick in die Zeitung und geflucht, wie verdammt unerzogen die Leute sind, schließlich weiß ich, ich bin die dickste im Raum, das brauchen sie mir nicht durch Telepathie vermitteln.
Jetzt sah die Situation so aus:
Blick rein, ab in die Runde, da freier Platz hingesetzt.
Und auf den Weg nach Hause viel mir auf... Ich war mir bewusst, ich bin nicht die dickste. Ich saß aber neben der Person, die mir am korpulentesten schien. Hat mein Unterbewusstsein dahin gesteuert, um mein Aussehen hervor zu heben, weil die andere Person in meine alte Rolle geschlüpft ist`? Hat mein eiskaltes Ego nicht Purzelbäume geschlagen, dass ich diesen Part nicht mehr übernehmen muss. Hab ich nicht ein bißchen zuviel Stolz ausgestrahlt, dass ich eine normale Person bin, die KEINE Blicke auf sich zieht? Für jede Tussi der Tod. Für mich eine Wohltag ohne gleichen. Ich fall nicht mehr auf, ich verschwinde in der Masse. Und zwar bei einer Sache, wo es vollkommen okay ist!
Ich habe hinter her festgestellt, dass ich darüber nachgedacht habe, dass sie mir leid tut. Dass sie es nicht geschafft hat, einen Weg aus der Situation gefunden zu haben. Dass ich es geschafft habe. Dass ich auf dem besten Weg bin. Dass sie jetzt diejenige ist, die negativ auffällt. Und was ist der Haken? Ich war wahrscheinlich die einzige, die darüber nachgedacht hat, die überhaupt darauf geachtet hat. Das Ego ist echt ein Miststück ohne Gleichen. Ich bin für kurze Zeit in die Rolle geschlüpft, die ich früher so gehasst habe!
Aber ich hab mich therapiert. Zuhause, raus aus den Klamotten, in Unterwäsche vor den Spiegel... Gott Steffi, abgenommen ja, aber wat siehst du noch Scheiße aus. Ach ich hatte mich wieder lieb, ein reines Gewissen, den Gedanken an die Frau aus dem Wartezimmer "Mädel, wir sitzen alle im selben Boot". Danach hab ich mich gefragt, ob ich jetzt eine Therapie brauche, weil das schon nach der Diagnose "schwer ein an der Waffel" klingt.
Das ist Steffi, so wie man sie kennt, so wie sie ist. Nicht ein Stück besser, als ihr größter Feind und dermaßen einen am Kopp, dass es fast schon wieder witzig ist.
LG