Hm, ich bin fast überzeugt, dass es den richtigen Zeitpunkt zwar oft gibt, aber dass er eben nicht immer da ist, wenn man sich etwas vornimmt.
Ich habe ja 10 Jahre versucht mein Gewicht zu reduzieren. Erfolglos. Allerdings bin ich überzeugt, dass mein Endgewicht wesentlich höher ausgesehen hätte, wenn ich nicht 10 Jahre tatsächlich dagegen versucht hätte anzukämpfen. Irgendwann kam dann Atkins, ich war überzeugt und es lief einfach.
Ich frag mich oft, was mich dazu gebracht hat, so einzubrechen. Ich mein, ich weiß wie es geht, ich bin überzeugt von der Ernährungsform und ich hatte einen sehr großen Erfolg und trotzdem hab ich mich einwickeln lassen - von mir selbst.
Anfangen hat es damit, dass für mich immer feststand, dass mein 30. Geburtstag entsprechend gefeiert wird und ich da auch ohne Rücksicht auf Verluste mitfeier. Ja, Alkohol ist generell ungesund und wahllos vom Buffet schlemmen ist jetzt auch nicht das, was für mich zur Einstellung wurde, aber ich bin ein Mensch, der in dieser Gesellschaft lebt, wo das völlig normal ist und was ich mein ganzes Leben über nicht anders gelernt habe. Und nach solanger Zeit der totalen Disziplin war es einfach geil mal etwas zu machen, was so gar nicht in das Konzept passte. Ich habe den Abend einfach Spaß gehabt und nicht über Essen oder Trinken nachgedacht. Ziel erreicht!
Allerdings war an zwei Wochenenden davor unser örtliches Schützenfest. Ich habe das als Anlass genommen, diese Wochenenden schon als Ausrutscher mit einzuplanen. Einfach weil es in den selben Zeitabschnitt fiel. In den Wochentagen dazwischen wollte ich "lieb" sein. Hat nicht funktioniert. Ob das schon der Anfang vom Ende war? Jedenfalls hatte ich innerhalb von diesen drei Wochen eine Zunahme von 12 kg zu verzeichnen.
Auf der einen Seite habe ich mir gesagt, okay, das ist normal und so schnell es da ist, so schnell bekommst du es auch wieder weg. Auf der anderen Seite war es so viel und hat mich eigentlich sehr deprimiert.
Das Problem war dann, dass ich von den 12 kg nichts gravierendes los geworden bin, als ich wieder ketogen gelebt habe. Völlig egal, was es für erklärende Gründe dafür gibt, für mich war es unvorstellbar, dass ich das jetzt wieder im alten Zeitryhtmus los werden muss. Ich wollte es loswerden, zur Not mit der Brechstange. Es tat sich nix. Das war die Quittung. Nicht die Zunahme, sondern, dass ich nix mehr los geworden bin.
Wie ich schon schrieb, ich brauche eine Anfangsmotivation. Stillstände im Laufe der Abnahme habe ich immer überstanden, weil ich von dem vorangegangen Erfolg gepusht war. Den gab es hier nicht. Ich hatte keine Änderung - egal ob ich mir jetzt die Weingummis reingekloppt habe oder ketogen gelebt habe. Nach oben ging vermeindlich auch nichts. Zumindest nicht so deutlich. Klar kamen nach und nach die Kilos, aber irgendwie ging es eben langsamer als bei den 12 kg und war damit entschuldigt, weil "geht ja nicht mehr schnell, bekomm ich wieder weg" usw.
Ich weiß nicht wieviele Tage es gab, an denen ich gestartet bin und schon am ersten Tag bin ich irgendeiner Süßigkeit verfallen oder einem Grillbaguette. Ich nahm zu und zu und zu.
Und dann kam irgendwann die Erkenntnis, dass ich total versagt habe. Dass ich meinen Erfolg praktisch zunichte gemacht habe. Ich bin zwar nicht hoch auf mein Ausgangsgewicht, aber optisch und gefühlsmäßig war ich da wieder angekommen. Und dann war es fast wie Resignation. Ich habe zwar nicht aufgehört daran zu glauben, dass ich es wieder packen werde. Aber die Vorstellung vor 4 Monaten noch am Tiefstand gewesen zu sein und jetzt wieder so zu fühlen wie vor Beginn der Abnahme, mit dem Wissen, dass das ganze kein böser Traum ist und ich nicht in einem Monat wieder da bin, wo ich war, hat mich erschüttert.
Ich habe mich übelst gequält. Meine Kleidung war so spärlich, dass mir jeder Sozialarbeiter eine Kleiderkammer empfohlen hätte. Und die Klamotten wurden immer enger. Das führte dazu, dass ich mich noch unwohler fühlte und ich mir sogar dadurch weh tat. Der Hosenbund hat mir nicht selten wunde Stellen am Bauch verursacht. Aber ich habe mich geweigert mir passende Klamotten zu kaufen, auch wenn ich es mir jeden Abend aufs neue vorgenommen habe.
Klingt ein bißchen Psycho, aber dadurch war mir meine Zunahme mehr als bewusst und ich konnte meine Hoffnung nicht begraben, weil mich jede Bewegung, die mir Schmerzen verursacht hat oder mich hat leiden lassen, daran erinnert hat, dass hier was falsch läuft. Das hat den Gedanken hoch gehalten, dass ich etwas ändern muss.
Es hat sich zwar nicht geändert, aber es ging eben nicht verloren. Und dann kam der Tag, an dem ich die Erkenntnis hatte, dass aber auch gar nichts mehr von meinem Erfolg da war. Auch nicht die Differenz zu meinem Startgewicht. Es war alles wieder da. Die innere Unzufriedenheit über das Spiegelbild, das Gefühl in der Öffentlichkeit von jedem abgewertet zu werden, weil man zugenommen hat usw. Gemerkt hat das keiner. Ich bin nicht wie ein Trümmerhaufen rumgelaufen. Dieses Desaster fand nur in meinem Kopf statt.
Aber es hat mir geholfen! Jetzt werden die Klamotten wieder lockerer. Sie sind immer noch nicht locker und leicht zu tragen, aber sie quälen mich auch nicht mehr. Die ersten Oberteile werden wieder lockerer und in meinem Schrank lächeln mich all diese geile Klamotten an, die ich vor einem Jahr noch mit Leichtigkeit angezogen habe. Und plötzlich läuft es wieder. Die Einstellung ist da, die Abnahme erfolgt und bringt neue Motivation mit sich. Ich sehe wieder einen Weg, der zu meinen Ziel führt.
Ich glaube, hätte ich mir eine neue Gaderobe angeschafft, würde ich mich noch darauf ausruhen, dass es mir doch eigentlich "gut" geht. Vielleicht ist es für manche erschreckend, dass ich da so brutal zu mir selbst war. Aber es war für mich der einzige Weg mit selbst deutlich zu machen, dass ich da einen total falschen Weg eingeschlagen hatte. Ich wollte mich nicht selbst vernebeln, während ich eh schon im Nebel stand. Es hat zumindest geholfen, dass ich nicht komplett resigniert habe und irgendwie hat es dazu geführt, dass ich die Kurve bekommen habe. Ob es auch anders gegangen wäre, weiß ich nicht, ist mir auch egal. Ich muss jetzt nur die Geduld aufbringen, dass ich eben nicht nächsten Monat da bin, wo ich letztes Jahr war, sondern dass es länger dauert, aber dass ich trotzdem ankomme.