Autophagie
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Jung und schön – dank Autophagie?
Ein Beitrag von Pia Erdbrügger
15. MÄRZ 2023
Forschung
Wir sind um eine genderneutrale Sprache bemüht und haben unsere Formulierungen bestmöglich neutral gewählt. Wo dies nicht möglich war, bezieht sich die gewählte männliche Form immer zugleich auf alle Geschlechter.
Besonders jetzt zur christlichen Fastenzeit schwirren im Netz unzählige Artikel umher, die über die wohltuenden Effekte des Fastens berichten. Reißerische Überschriften versprechen: „Fasten ist eine kostenlose Verjüngungskur“ oder „Je länger du Fasten durchhältst, desto besser sind die Anti-Aging-Effekte“. Ob Intervall-, Basen- oder Heilfasten, im Kern geht es immer darum, freiwillig für einen Zeitraum X komplett oder selektiv auf Nahrung zu verzichten. Fasten ist aber keineswegs eine neumodische Erfindung: Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte wird in fast allen Kulturen gefastet und bis heute ist der Nahrungsverzicht ein fester Bestandteil religiöser Praxis. Heutzutage wird dieser Verzicht aber immer häufiger auch zum Lifestyle-Statussymbol. Fastenkuren sind trendy und immer neue Methoden lassen das persönliche Selfcare-Programm regelrecht zum Erlebnis werden. Der allgemeine Grundsatz: Fasten ist gesund! Und bei der Frage nach dem
Warum gibt es seit dem Nobelpreis für Medizin 2016 einen neuen Star am Fasten-Himmel: die Autophagie.
Unzählige Artikel, Bücher, Videos und Produktbeschreibungen schwören auf die Health Benefits des wortwörtlich übersetzten „Selbst-Essens“ (griechisch: Auto- „selbst“; -phagie „essen“). Was genau Autophagie aber ist und wie sie funktioniert, bleibt oft nebensächlich. Dabei ist es ein spannender und faszinierender Prozess, den unsere Körperzellen durchführen. Durch Autophagie entsorgen und recyclen sie nämlich ihren Müll.
Beschädigte, überschüssige oder schädliche Zellbestandteile werden in einer Doppelmembranstruktur, dem so genannten Autophagosom, eingeschlossen. Wie die Müllabfuhr transportiert dieses Autophagosom den Abfall zur zellulären Recycling-Anlage, dem Lysosom. Dieses verdaut die Zelltrümmer, damit sie von der Zelle wiederverwendet werden können. Aber was hat all das nun letztendlich mit dem Fasten zu tun?
Das World Wide Web preist die Autophagie als Fat-Burner, als Jungbrunnen und als Glow Booster für die Haut. „Mit Autophagie kannst du abnehmen und kriegst sogar noch tolle Haut“, liest man da. Oder, dass Autophagie „ein hochwirksamer Anti-Aging-Prozess, den der Organismus von innen, ohne viel Zutun und ganz wie von selbst anregt“ sei – eben eine Allzweckwaffe gegen alles, was den gesundheitsbewussten und nach ewiger Jugend und Schönheit strebenden Menschen von heute so plagt. Und was muss man tun, damit die eigenen Zellen Autophagie betreiben?
Auch hierfür gibt es ein ganzes Sortiment an Empfehlungen. Mensch kann sich zum Beispiel einen leckeren Autophagie-Tee kochen, auf Autophagie-aktivierende Superfoods und Workouts schwören oder eben Fasten. Dabei gibt es viele widersprüchliche Informationen im Netz. Laut manchen Quellen reicht ein 30-minütiges HIT-Workout (hochintensives Intervalltraining), laut anderen müssen es mindestens 16 Stunden striktes Fasten sein, damit die Zellen in Autophagie-Laune geraten. Aber was sagt nun die Wissenschaft dazu?
Was ist der genaue Zusammenhang zwischen Fasten und Autophagie? Die kurze Antwort lautet: Wir wissen es nicht. Als Forscherin finde ich aber die Frage, was der Verzicht auf Nahrung eigentlich auf zellulärer Ebene mit unserem Körper macht, sehr spannend. Mich interessiert: Welche Synergien gibt es zwischen Autophagie, Alterung und Erkrankungen?
Je nachdem, wen man fragt, hat die Wissenschaft vielleicht 10–20 % verstanden von allem, was es dazu zu wissen gibt. Gleichzeitig würde es den Rahmen dieses Artikels mehr als sprengen, wenn ich hier alles zusammenfasse, was wir in den letzten Jahren herausgefunden haben. Trotzdem möchte ich versuchen, einige Kernfragen zu beantworten, die euch Lesern helfen können, die Flut an Informationen, die uns zu diesem Thema erreicht, besser zu überblicken.
1. Welche Auswirkungen hat das Fasten auf den Alterungsprozess?
Bevor wir uns Überlegungen widmen, wie der Mensch den Alterungsprozess verlangsamen oder sogar stoppen kann, sollten wir erst einmal folgende Frage klären: Warum altern wir? Obwohl die Antwort auf diese Frage unendlich komplex ist, lässt sich die Alterung vereinfacht durch Fehlfunktionen zellulärer Prozesse auf zwei Ebenen erklären:
Zum einen betrachten wir die Ebene der Genetik: Unser Erbgut in Form von DNA erleidet jeden Tag hunderttausend Schäden pro Zelle. Diese Schäden treten zum Beispiel in Form von spontanen Mutationen auf und sind ein nicht zu verhindernder Teil des Lebens. Um zu überleben, ist unser Körper darauf angewiesen, diese Schäden zu identifizieren und zu reparieren. Bei ca. 100 Billionen Zellen im menschlichen Körper ist also ganz schön was zu tun und da passieren natürlich auch Fehler. Einige Schäden übersieht unser Körper ganz einfach und mit den Lebensjahren sammeln sich mehr und mehr dieser Versäumnisse an. Denn im Alter werden wir schlichtweg schlechter darin, neue Schäden zu reparieren.
Die zweite Ebene ist die der Epigenetik: Bei der Epigenetik geht es um die Aktivität von Genen, also den Abschnitten der DNA, die die Informationen für die Herstellung von Proteinen tragen. Proteine sind die Bausteine unserer Zellen, daher muss der Körper genaustens regulieren, welche Gene aktiv sind und welche gehemmt werden. Im Alter wird der Körper schlechter darin, die Aktivität seiner Gene zu regulieren. Suboptimale Gen-modifikationen, chronische Defizite und Co. sammeln sich an und durch eine Kaskade aus sich anhäufenden Problemen, können letztlich Krankheiten entstehen. Bei jungen Menschen sind zum Beispiel die Gene für Zellwachstum sehr aktiv, logisch, da sie sich noch in der Entwicklung befinden. Im Alter muss der Körper diese Zellwachstumsgene runterregulieren. Gelingt dies nicht, kann das zu unkontrolliertem Wachstum und in der Folge zu Krebs führen.
2. Was hat Autophagie mit diesen Prozessen zu tun?
Autophagie ist sowohl ein Stoffwechselprozess als auch ein Mechanismus für die Qualitätskontrolle. Die Zelle kurbelt die Autophagie beispielsweise an, wenn ein bestimmtes Stoffwechselprodukt in zu großer Menge vorhanden ist oder ein Zellbestandteil kaputt gegangen ist – eben wie die Müllabfuhr, die in der Zelle aufräumt. Dies ist notwendig, um das zelluläre Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Die abgebauten Stoffe können recycelt werden, sodass die Zelle altes oder überschüssiges Material loswird und genügend Bausteine für neues hat.
Es gibt verschiedene Arten von Autophagie: Manchmal benötigt die Zelle Energie und verfeuert daher eine große Menge an Material durch planlosen Abbau. Manchmal werden aber auch hochselektiv ganz bestimmte Komponenten ausgewählt, weil diese zum Beispiel gefährlich oder toxisch für die Zelle sind.
Wie gezielt der Mensch nun durch bestimmtes Handeln die Autophagie beeinflussen kann und ob das wiederum gesund ist, ist aufgrund der aktuellen Datenlage schwer einzuschätzen. Im Allgemeinen lässt sich jedoch sagen, dass unsere Verhaltensweisen durchaus Konsequenzen für unseren Alterungsprozess haben. Denn unsere Epigenetik wird nicht nur durch angeborene Gegebenheiten, sondern auch durch Umweltfaktoren bestimmt. Ernährung oder Stress spiegeln sich zum Beispiel epigenetisch wider und beeinflussen, wie lange unser Körper erfolgreich den oben beschriebenen Einbußen entgegenwirken kann. Durch einen gesunden Lebensstil haben wir also tatsächlich die Möglichkeit, für die Regulierung unserer Gene etwas Gutes zu tun. Noch gilt aber auch: Trotz Allem ist Altern unumgänglich.
3. Ist Fasten denn nun gesund?
Wir wissen mittlerweile aus einigen Tierstudien, dass eine reduzierte Kalorienmenge von 20–40% positive Effekte auf den Metabolismus hat, entzündungshemmend wirkt und die Lebensdauer verlängern kann. In Bezug auf den Menschen ist die Datenlage leider noch viel unklarer. Zunächst können wir aber dennoch annehmen, dass Fasten für den Menschen durchaus gesund sein kann. Denn die Grundannahme, dass der Körper beim Fasten in einen Modus des Energiesparens und Reparierens schaltet, ist korrekt. Aufgrund des Nährstoffmangels erschöpft der Körper seine Kohlenhydratvorräte und beginnt Fett zu verbrennen, um an Energie zu kommen. Die Aktivität von Prozessen wie der Autophagie wird gesteigert. Die Insulinresistenz nimmt ab, das beugt Diabetes mellitus vor – soweit die Theorie.
In der Praxis gilt es jedoch immer, auch die potenziellen individuellen Risiken zu bedenken. Dazu zählen beispielweise Vorbelastungen wie Unterernährung, Muskelschwund, zu niedriger Blutzuckergehalt, Kreislauf- und Magen-Darm-Probleme. Wenn ich meinen Körper extrem stresse, aktiviert das zwar die Autophagie, jedoch nur, um mit den stressbedingten Veränderungen und Schäden umzugehen. Darüber hinaus kann Fasten negativ mit Ess-Störungen korrelieren. Weiterhin kann eine zu geringe Kalorienzufuhr zu hormoneller Unausgewogenheit führen – vor allem für menstruierende Menschen ein potentielles Gesundheitsrisiko. Hier kann man also im schlimmsten Fall mehr Schaden anrichten als Gutes tun. Auch die Tiere, die durch Kalorienrestriktion länger lebten, hatten Probleme, zum Beispiel weniger Fortpflanzungs-Erfolge. Beim Fasten geht es nicht ums Hungern. Es geht darum, sich die biologische Fähigkeit, den Bedarf an Nährstoffen ohne gesundheitliche Nachteile aus körpereigenen Reserven zu decken, sinnvoll zunutze zu machen. Am besten sollte man seine Pläne immer zuerst mit dem Hausarzt abklären, wenn man fasten möchte. Auch im Netz gibt es seriöse Quellen mit vielen Informationen zu den Leitlinien für gesundes Fasten und zu aktuellen Studien, zum Beispiel die
Website der Ärztegesellschaft Heilfasten & Ernährung e. V..