Du hast es so gewollt! Für dich, für mich und alle auf die es noch passt. Ich entschuldige mich schon mal bei denen, die sich wieder erkennen und deren Persönlichkeitsrechte ich jetzt verletzt haben mag. Sorry ;-)
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Es ist einer dieser tristen Novemberabende, an denen einem die klamme Kälte unaufhaltsam durch die Kleidung dringt. Ich gehe durch die menschenleeren Straßen von Ketocity und lenke meine Schritte in eines der verufenen Viertel der Stadt. Die Lichtreklamen der einschlägigen Nachtlokale spiegeln sich verzerrt in den Pfützen der ausbesserungswürdigen Straße wider. Der Regen nimmt zu und ich ziehe den Kragen meines Mantels enger zusammen und beschleunige meine Schritte in Richtung der „Schwarzen Katze“.
Mir geht diese Bunny nicht aus dem Kopf. Während ich im Dunkel meiner kleinen Detektei in dem schäbigen Hinterhaus einer Seitenstraße saß und an Zeiten dachte, wo meine Bauchspeicheldrüse noch angemessen Insulin für jede Süßspeise produzieren konnte, erwartete ich vom Tag nicht mehr, als dass er zu Ende ging.
Plötzlich hatte sie den Raum betreten und sich die Regentropfen aus dem blonden Haar geschüttelt, bei dem ich sofort erkannte, dass die Farbe echt sein musste. Es hätte keinen größeren Kontrast geben können als zwischen diesem jungen Ding und meinem schmuddeligen Büro. Während ich versuchte meine Beine vom Tisch auf den Boden zu bekommen, ächzte der alte Stuhl unter meinem enormen Gewicht. Ich stolperte um den Tisch herum, um ihr den kleinen Besucherstuhl zurechtzurücken und verharrte in dem Moment als sie bis an den Tisch vortrat und sich zu mir vornüber beugte. Ich versuchte mir in meiner seitlich verdrehten grotesken Körperhaltung einen letzten Rest von Würde zu bewahren und stützte mich möglichst lässig auf den Tisch, während ihr unbeschreibliches Gesicht dem meinem immer näher kam. Ich begann spontan zu schwitzten und widerstand dem unprofessionellen Drang mit der freien Hand meinen Kragen zu lockern. Aus den Augenwinkeln musterte sie das Büro und ein geringschätziger Zug umspielte ihre Lippen. Sie kam mir so nahe, dass ich ihren Atem riechen konnte. Ein feiner und nur zu bekannter Duft nach kürzlich verspeisten Schaumküssen drang in meine Nase. Also doch! Mit dem untrüglichen Gespür eines trockenen Kohlenhydratikers hatte ich sofort den Verdacht gehabt, dass auch Sie bereits dem Teufelszeug verfallen ist, auch wenn ihr drahtiger Körper noch an keiner Stelle, an der sie einem wie mir erlauben würde nachzusehen, ein Gramm Fett zu viel zu haben schien.
„Ich will, dass Sie meinen Freund finden!“ sagte sie mit leiser aber fester Stimme und legte eine Bild, eine Visitenkarte und einen Hunderter auf den Tisch. „Sie haben 2 Tage Zeit. Wenn Sie erfolgreich sind, bekommen Sie weitere Hundert als Prämie. Sie finden mich jederzeit dort.“ Sie deutete auf die Visitenkarte. Ich nahm die Karte in die Hand und war nicht überrascht. KetoFIT ist der exklusivste Fitnessklub von Ketocity, wo sich nur die Reichen und Schönen tummeln.
Ich höre ein leises Geräusch und als ich wieder aufsah, fiel die Tür quietschend hinter ihr ins Schloss.
Als ich die „Schwarze Katze“ betrete, brauchen meine Augen nicht lange, um sich an das Licht zu gewöhnen, da es hier nicht viel heller ist, als draußen in der dunklen Gasse, in welcher das Etablissement liegt. Die schwarze Katze steht heute selbst hinter dem Tresen und nickt mir nur kurz zu. Ich weiß, dass sie mich hier solange nicht gerne sieht, bis ich meine Schulden bei ihr beglichen habe. Aber weil ich in Ketose bin, erlauben ihr die Gesetze der Stadt nicht, mir den Zutritt zu verweigern.
Ich lasse meine Augen durch den Raum schweifen. Der Schuppen ist für diese Zeit schon gut besucht. Eine Menge Leute sind hier, weil sie Unterstützung bei ihren Gewichtsproblemen suchen und mit anderen Erfahrungen austauschen wollen. Auch sind sie hier vor den KH Dealern sicher.
Die schwarze Katze scheint zu ahnen, warum ich hier bin und deutet mit dem Kinn in Richtung einer unauffälligen Tür in der dunklen Ecke. Sie vermutet richtig. Ich suche Ed, das Wiesel. Der betreibt hier im Hinterzimmer ein verbotenes Wettbüro. Vor dem großen Crash war er Börsenmakler gewesen.
Ich gebe das nur Insidern bekannte Klopfzeichen an der Tür und warte während die dumpfen Schritte hinter der Tür näher kommen. Als die Tür aufspringt, steht eine hagere Gestalt vor mir, deren Konturen so gar nicht zu den meisten Bewohnern der Stadt passen will. Als Ed mich erkennt, macht sich ein Grinsen in seinem Gesicht breit. Das magere entstellte Gesicht wird dadurch nicht viel attraktiver. „Ah! Mein Goldjunge kommt mich mal wieder besuchen. Komm rein! Ich habe einen heißen Tipp für dich.“
Noch bevor die Tür hinter mir ins Schloss gefallen ist, greife ich nach Eds Schulter und bedeute ihm damit sich zu mir umzudrehen. Ich halte ihm das Bild von Bunnys Problem unter die Nase. „Kennst du den?“ Ed wirft nur einen kurzen Blick auf das Foto, welches wie mein Mantel im Regen nass geworden ist und schüttelt den Kopf. „Wer soll die Bleichnase sein?“ Ich antworte ihm, dass in das nichts angeht. „Warum fragst du nicht die Katze? Die kennt fast jeden in der Stadt. Ich sehe nur die, die sich trauen bei mir zu wetten. Ach ja…ich vergaß…sie wird dir wohl eher nicht helfen wollen!“ grinst er mich höhnisch an.
In der Tat hat die Ratte eine Begabung dafür, die noch vom Salz und Fett der letzten Mahlzeit triefenden Finger in die offenen Wunden anderer Leute zu halten. Ich versuche einen gleichgültigen Gesichtausdruck zu bewahren, obwohl ich ein Gefühl im Bauch habe, als ob mir jemand ein glühendes Messer hinein gestoßen hätte.
Ohne mich hätte es die Katze längst geschafft Ketocity zu verlassen. Ich wollte ihr damals helfen und hatte sie überredet eine Körperwette auf mich abzuschließen. Ich hatte ihr vorgemacht, ich sei ein Durchläufer. Und bei Gott, ich war selbst felsenfest davon überzeugt. Leider kam dann der Einbruch und sie verlor ein Vermögen durch mich. Ich versprach ihr, den Schaden zu ersetzen. Aber auch das hatte ich nicht geschafft, weil ich mein ganzes Geld in den Fastfoodhöllen im Sperrbezirk durchgebracht habe. Wenn ihr Ed nicht geholfen hätte, wäre sie auf der Straße gelandet. So steht sie in seiner Schuld und muss seine illegalen Geschäfte decken. Und ich stehe in ihrer Schuld. Und der Halunke Ed hat sich damals eine goldene Nase an mir verdient, weil er mich richtig eingeschätzt hatte. Deshalb nennt er mich auch seinen Goldjungen und versorgt mich ab und zu mit ein paar Tipps, die mich über Wasser halten. Ed bietet, wie auch die legalen Buchmacher in der Stadt, Körperwetten an. Nur sind die Deals bei ihm riskanter und manchmal auch lukrativer. Bei Körperwetten setzt man auf das Gewicht der Bewohner von Ketocity. Man kann darauf zocken, dass es jemand schafft und abnimmt oder es nicht schafft und wieder zunimmt. Wenn jemand ein bestimmtes Zielgewicht zu einem festgelegten Termin erreicht, ist das ein Strike und verdoppelt den Gewinn. So einfach ist das.
„Quote eins zu hundert. Strike 95 an Weihnachten. Aktuell 87“ Ed sieht mich herausfordernd an. Eins zu Hundert! Eine solch hohe Quote hat es noch nie gegeben. Das bedeutet, für jedes Kilo bekomme ich den hundertfachen Einsatz zurück. Wenn der Gegenstand der Wette bis Weihnachten 95 Kilo wiegt, dann nach einmal das Doppelte. Ich traue meinen Ohren nicht. „Du spinnst!“ Das Wiesel schaut mich beleidigt an. „Glaub mir. Das will noch keiner wahrhaben. Deshalb auch die Quote. Aber ich sehe eine riesige Chance. Da könntest du auch wieder bei der Katze landen, mein Guter.“ Dar war es schon wieder, dieses glühende Stechen in meinen Eingeweiden. Ich sehe ihm tief in die Augen. Er weicht nicht aus. Er merkt, dass er mich fast am Haken hat. „Um wen geht es denn?“ Er kichert. „Da kommst du nicht drauf. Es ist Rubikscube!“ Er gibt ein hässliches Lachen von sich, greift zielsicher in meine Manteltasche und entwendet mir den Hunderter der Blondine. „Das ist Unsinn!“ belle ich ihn an und in mir steigt die Wut hoch. Ich packe das Wiesel am Kragen, hebe ihn hoch und pinne in an die Wand. Mir fällt auf, wie leicht er ist. Ed müsste schon lange nicht mehr hier sein. Er bleibt nur in Ketocity, um uns ehrenwerte Bürger auszunehmen. Was er gerade gesagt hat, ist unmöglich. Wie die halbe Stadt habe auch ich einen Wettschein auf Rubikscube in Tasche. Er ist eine der Ikonen hier und kann nicht versagen. Die Wette wird mich zwar nicht reich machen, aber für ein oder zwei Monate werde ich versorgt sein. Ich bin mir sicher, den Gewinn in den nächsten paar Wochen einstreichen zu können. Er ist der Inbegriff des Durchläufers. Als er vor ein paar Monaten in der Stadt ankam, wog er 104 Kilo. Er legte sich eine Strategie zurecht und hat sich immer dran gehalten. Anderen hat er immer Mut gemacht und geholfen. Bald würde er sein Ziel erreicht haben und die Stadt verlassen oder als Ehrenbürger bleiben. Dann habe ich gewonnen. Das weiß ich, das weiß er, das wissen alle. Ich drücke vor Wut so fest zu, dass das Wiesel fast keine Luft mehr bekommt. „Du spinnst! Keiner wettet gegen den Würfel. Du hast selbst zugegeben, dass er ein Durchläufer ist!“ Ed zappelt und ich lockere meinen Griff. Ich merke, wie albern ich mich benehme und lasse ihn zu Boden. „Entschuldige Ed!“ „Krächz. Ist gut. Ich hatte nur gesagt, dass er vielleicht einer ist.“ belehrt er mich. „Aber ich habe nie eine Wette auf ihn angeboten, oder? Komm, ich erkläre es dir!“
In der nächsten halben Stunde lerne ich viel über Charts und Psychologie. Ed hat die Gewichtskurve des Würfels auf ein Papier gemalt und noch einige Linien dazu. Er sagt die fette Linie wäre die Ziellinie des Würfels. Die Ziellinie würde überhaupt nur einer von hundert erreichen, weil die meisten schon vorher für sich beschließen, dass sie es ja eigentlich geschafft haben und weich werden. Irgendwann verlieren sie das Ziel dann aus den Augen und es geht wieder aufwärts. Ich seufze und Ed grinst mich an. Ich war für ihn ein Standardposten und absolut transparent in meinem Verhalten. Ich frage ihn nach der schrägen Linie, die über der Gewichtskurve liegt und mit dieser fällt. Er sagt, dass das der Trend ist. Wenn man mal schwach wird, dann geht das Gewicht kurz nach oben. Aber wenn man sich dann wieder fängt, schadet es dem Trend nicht. Die Gewichtskurve des Würfels ist jetzt kurz davor den Trend zu brechen. Das sehe ich auch. Ich weiß aber nicht, was es bedeutet. Er erklärt mir, dass diese einfache Darstellung seit über hundert Jahren an der Börse funktioniert. Man sieht ihrer Einfachheit nicht an, welches Drama sich jeweils dahinter abspielt. Und es ist für die Psyche der handelten Personen kein großer Unterschied, ob jemand um sein Gewicht oder seine Firma kämpft. Nur, dass die Kurve des Würfels eigentlich auf dem Kopf steht. Das Wiesel erklärt mir auch, dass Menschen immer dann die meisten Fehler machen, wenn sie den Zenit erreicht haben. Sie wähnen sich dann in Sicherheit und denken sie wären unbesiegbar und müssten sich nicht mehr engagieren. Wenn sie dann die ersten Anzeichen der Konsequenzen bemerken, korrigieren sie schnell, indem Sie mit ihren alten Methoden und Tugenden antworten. Das funktioniert auch zunächst und sie erreichen ihren Zenit wieder oder übertreffen ihn sogar. Das wiegt sie dann aber noch mehr in Sicherheit und deshalb machen Sie wieder Fehler. In diesem Zickzack verlassen sie den Trend. Immer noch denken sie, sie können durch ein bisschen Anstrengung zurück auf den Zenit, aber es klappt dann nicht mehr. Es folgt der freie Fall. Gelegentlich wird der durch ein Aufbäumen unterbrochen, aber nur vorübergehend. Dem Erschrecken folgen dann das Entsetzen und schließlich die Verzweiflung. Und bevor die nicht überwunden ist, kann es keine Trendwende mit neuer Motivation geben. So läuft das Spiel.
Ed meint noch, dass er so einen riskanten Deal mit einem älteren Bewohner nicht riskieren würde, der das schon mal mitgemacht hat. Und wieder grinst er mich schleimig an. Aber beim Würfel sieht er kein Risiko. „Du wirst sehen, wie schnell das bei dem geht“ sagt Ed noch, während ich mich langsam umdrehe und mit schwachen Beinen auf die Tür zugehe. Mir ist schlecht geworden und die Selbstverständlichkeit mit der Ed seine Weisheiten predigt k* mich an. Resigniert frage ich ihn noch, ob der Würfel denn überhaupt eine Chance hätte. Er zuckt mit den Schultern. „Klar. Aber dann müsste er sich der Gefahr bewusst sein. Da sein altes Ziel nicht mehr taugt, bräuchte er ein neues. Zum Beispiel 76 Kilo erreichen und 10 Kilometer in 50 Minuten laufen. Das würde ihn wohl retten. Aber mach dir keine Sorgen um ihn. Der ist noch jung. Die Ziele setzt der sich dann in zehn Jahren.“ Als ich nach der Türklinke greife, hält Ed mich am Arm fest. „Wenn du nur auf Durchläufer setzen willst, dann habe ich noch was für dich. Sie ist noch nicht lange in der Stadt. Der Freund ist auch dabei und zwei Katzen. Wird etwas dauern, aber ich bin sicher das klappt.“ Ich bedanke mich und verspreche es mir zu überlegen.
Ich bin froh, wieder in der Gasse zu stehen. Die Stadt scheint den Atem anzuhalten. Es hat aufgehört zu regnen. Mit Bunnys Angelegenheit bin ich heute nicht weiter gekommen. Aber morgen ist auch noch ein Tag. Vielleicht findet sich die Lösung bei ihr von selbst, wie so oft bei den jungen Leuten.
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Tja, was nun Würfel? ;-)
Manfred